Zweifache Überfahrt: Isabella Feimers „Frieda“

Isabella Feimer vermag mich immer wieder zu überraschen und zu verblüffen. In jedem ihrer Bücher schlägt sie einen neuen Ton an, bringt Saiten und Töne zum Schwingen, die ich in ihren bisherigen Texten nicht wahrgenommen hatte, als Lyrikerin und Prosaautorin oder, wie zuletzt, auch als Essayistin. Immer jedoch ist ihr Schreiben an eigenes Erleben gebunden, an die Erfahrung, der sie sich bewusst aussetzt: sei es im Essay Langeweile (Kremayr & Scheriau), wo sie diesen Zustand ganz bewusst auszureizen versucht, oder in den Büchern, in denen sie ihre Reisen auf ästhetisch literarische Weise verarbeitet wie zuletzt im Road-Poetry-Band „American Apocalypse (Limbus, gemeinsam mit Manfred Poor) oder auch in der Ghost-Story Monster (ebenfalls Limbus). Dabei lotet sie immer die Untiefen psychologischer Grenzerfahrungen aus und somit auch die Grenzen der sprachlichen Darstellbarkeit oder Erzählbarkeit wie in ihrer Annäherung an Leonora Carrington in Cadavre exquis (Braumüller, gemeinsam mit Manfred Poor und Martin Plattner), wo sie den Surrealismus im Werk der Künstlerin in ihre ganz eigene Poetik überschreibt.

Nun also Frieda, erschienen im Braumüller Verlag –  und wieder ist der Text ganz anders als die bisherigen. Er erzählt die letzten sechs Stunden im Leben der titelgebenden Protagonistin und fährt gleichzeitig ganz weit zurück in deren Leben, nämlich in die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit, als Frieda eine junge Frau ist und die Welt auch in ihrem Heimatort Mitterndorf darniederliegt: Die Männer versehrt, wütend und in ihren Träumen verwundet im und dann aus dem Krieg zurück, die Frauen verhärmt, krank, zornig. Auch Friedas Leben ist vom Krieg gezeichnet, in den Ferdinand, der später ihr Mann wird, ziehen muss, um als Anderer zurückzukommen, ebenso wie ihr Vater und auch ihre Brüder. Die positive Konstante in ihrem Leben ist Grete, mit der sie eine tiefe Freundschaft verbindet, eine Freundschaft, die zu einer Liebe wird.

Isabella Feimers Text hat mich zutiefst berührt, denn er fasst eine Melancholie in Sprache, die sich von der Trauer um ein nicht gelebtes Leben speist, die aber auch von den in wunderschönen poetischen Bildern geschilderten Erinnerungsfragmenten an eine große, an eine mögliche, aber in der damaligen Zeit und an jenem Ort unmögliche Liebe zehrt. Die letzten Stunden im Leben von Frieda werden noch einmal eine Möglichkeit eröffnen – oder doch nicht? Die letzte Fahrt, die Frieda bald antreten wird, verstrickt Isabella Feimer geschickt mit einer anderen, ganz konkreten Überfahrt, die die beiden Leben, jenes von Frieda wie auch jenes von Greta, in eine andere Richtung gelenkt hätte – oder war alles doch nur ein Traum, der sich mit den Jahren in ein Schreckgespenst verwandelt, weil er seine Einlösung bis zum Ende unerbittlich einfordert?

Mehr als in den anderen Büchern, die ich von der Autorin kenne, habe ich in „Frieda“ wahrgenommen, dass hier eine Poetin erzählt, eine, die an die Magie des Wortes glaubt, aber auch daran arbeitet, um zu einem wunderbar rhythmisch durchwirkten Textgewebe zu kommen. Jeder Absatz im Text ist ein einziger Satz, mit Hypotaxen vielgliedrig zusammengehalten, atemlos im Sog, den er erzeugt, und klanglich durchkomponiert, so dass man ihn singen könnte. Die Strophe eines Liedes, eines Abgesangs auf ein Leben in den letzten Stunden vor seinem Tod, das uns in seiner Gesamtheit mit wunderbaren Bildern und Wortneuschöpfungen das Innenleben von Frieda erahnen lässt, ihre Liebe(n), ihre Freuden und Träume, aber auch ihre Sorgen, Ängste und ihren Kummer, den sie nie nach außen trägt, den uns die Erzählerin aber nahezubringen vermag, so zart und zärtlich wie dieses Leben literarisch gesponnen ist.

Dem Buch ist ein Motto von Pier Paolo Pasolini vorangestellt: Non avrò pace, mai. Er, der Ausnahmeintellektuelle und Homosexuelle, der mit Frieda, deren Geschichte, so verrät uns das Nachwort im Buch, an jene von Isabella Feimers Großmutter angelehnt ist, in etwa dieselben Lebensjahrzehnte teilte, fasst in diesen Worten die lebenslange Unruhe und das innere Getriebensein zusammen, in denen sich die Schreckgespenster eines ungelebten, möglichen Lebens tummeln, um erst mit dem Tod zu weichen:

„Da ist ein Strand, der golden glitzert, Fußspuren folgen einem Luftballon, es riecht nach Zuckerwatte, rosa Fäden treiben durch die Luft,

da ist der Ozean,

da ist ein anderer Himmel,

kein Schatten einer langen Nacht,

 in der die Angst sich eingenistet hat,“

– doch Erlösung und Befreiung, das sagen uns die letzten beiden Zeilen, die hier nicht verraten seien, bringt auch dieser nicht.

PS: Das Coverbild, von dem ich einen Ausschnitt verwenden darf, ist von Manfred Poor, dem Partner von Isabella Feimer, dessen Fotografien die Seele von deren Büchern – wie auch hier – auf kongeniale Weise einzufangen vermögen.

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle kostenlos eine Website oder ein Blog auf WordPress.com.

Nach oben ↑