Zwischen den Stühlen. Zu Kirstin Breitenfellners Künstlerinnenroman „Maria malt“

Als ich im vergangenen Jahr die Personale von Xenia Hausner in der Albertina besuchte, saß ich fassungslos und zutiefst berührt vor den großformatigen Bildern, in denen beinahe ausschließlich Frauen in den unterschiedlichsten Situationen, Haltungen und Gefühlslagen zu sehen waren. Erst da nämlich bemerkte ich, was ich seit jeher als Mangel und Unbehagen bei der Betrachtung von Kunst empfunden hatte, ohne es in Worte fassen zu können: dass nämlich entweder Männer abgebildet waren oder Frauen aus dem männlichen Blick. Ich glaubte erahnen zu können, wie selbstverständlich anders Männer Kunst konsumieren und sich in ihr reflektieren können, und was den Frauen vorenthalten wurde. Ganze Welten nämlich.

Ähnlich und doch anders erging es mir mit der Lektüre von Kirstin Breitenfellners Romanbiographie „Maria malt“ zu Maria Lassnig. Ich stürzte mich in die Lektüre, ließ mich ganz auf den Sog der eleganten, klaren Sprache ein, die in 12 Kapiteln das Leben der österreichischen Malerin ganz nahe heranzoomt, was durch die Wahl des Präsens als Erzählzeit unterstützt wird. Und ich erlebte die verschiedensten Stationen des Lebens dieser großen Künstlerin mit, das von einer Kärntner Keusche über Klagenfurt und Wien nach Paris und New York führt, und von dort wieder zurück; eines Lebens, das die Künstlerin kompromisslos ihre eigene Formen- und Farbensprache suchen lässt und das sie, die sich oft der Wahrnehmung als ausgeliefert empfindet, sehr stark dem eigenen Innenleben, dem eigenen Körper verhaftet bleiben lässt, mit all den damit verbundenen Ambivalenzen, Unsicherheiten und dem Ausschluss aus der männlich geprägten Kunstwelt. Riedi, so wird die junge Maria genannt, Riedi versteht, dass die Menschen sich hinter Masken verstecken, und sie wird von da an zu den Stiften greifen, um, ihrem inneren Kompass folgend, die Wahrheit jedes einzelnen Porträtierten oft gegen dessen bewussten Willen hervorzuholen. Auch ihre eigene Wahrheit, die oft eine hässliche ist – und darin wird sie sich ihr Leben lang ebenso treu bleiben. Die Beziehung zur Mutter wird Maria zutiefst prägen; ihr, die ihr Leben nur durch Heirat besser machen konnte und nicht aus anderer, eigener Anstrengung, wird sie es nie recht machen können, es aber immer versuchen. In den Kapiteln, in denen Breitenfellner das Kind und die junge Maria Lassnig schildert, schöpft die Autorin aus ihrer großen Kunst eines empathischen Schreibens, das von Respekt und Würde geprägt ist und sich keine Distanzlosigkeit erlaubt: Das ginge nun bei einem Roman über Maria Lassnig, die ihr Leben lang um Autonomie und Selbständigkeit kämpfte und oft gegen ihren Willen eine Außenseiterin war, schon gar nicht.

Breitenfellner erzählt nicht unbedingt chronologisch, sondern verknüpft die einzelnen Kapitel sehr leichtfüßig mit, inhaltlich nachvollziehbaren Brücken, so wenn sie über das Motiv des sich vor der Welt Versteckens von der Feistritz zur Erzählung über New York kommt, wo die Malerin sich zwar im Zentrum der Kunst befindet, aber völlig unbekannt ist.

Das Schönste am Buch ist jedoch die Sprache, die die „body awareness“ von Lassnigs Malerei in das Erzählen holt und damit den Sog, der die Leserin ganz nahe an der Wahrnehmung der Protagonistin sein lässt, noch verstärkt. Das ist auch in jenen Kapiteln so, die in der Wiener Kunstszene der Nachkriegszeit spielen und die wir aus der Perspektive der jungen Künstlerin sehen, der zwar alle großes Talent attestieren, die aber um jede einzelne Ausstellung – und diese Verrenkungen und Demütigungen hasst sie – kämpfen bis betteln muss. Es geschehen tiefe Kränkungen, vor allem in den Beziehungen zu Arnulf Rainer oder Oswald Wiener, Kränkungen, die die Künstlerin ausschließlich auf ihre Weiblichkeit reduzieren und umgekehrt, Kompromisslosigkeit in der Ausübung der Kunst nur als maskulin wahrnehmen können.  Und es durchfährt eine beim Lesen eine große Zärtlichkeit und auch Dankbarkeit für Frauen wie Maria Lassnig, die an ihrer Kunst dranblieb, dranbleiben wollte und musste, weil sie nicht anders konnte (und die lange auf die verdiente Anerkennung aus Österreich warten musste, die aber dann letztendlich doch kam), die sich nicht verstellte und verbog, sondern sich der oft völligem Unverständnis ausgelieferten Herausforderung stellte, sich und die eigene Malkunst neu, und zwar ständig neu, zu erfinden. Denn die Traditionen waren nicht die ihre, demzufolge konnte sie sich ihnen auch nicht stellen, weder in positivem noch in negativem Sinne.

Was diesen Künstlerinnenroman so wunderbar einzigartig macht, ist, dass nicht theoretisch die Benachteiligung von Künstlerinnen behauptet wird, sondern die Unmöglichkeit eines Verstanden-Werdens und die Beschneidungen in den Möglichkeiten eines Künstlerinnnenlebens mit äußerst lebendig gestalteten Szenen, Dialogen und Beobachtungen, bei denen die Verfasserin die Tagebücher und Notizhefte der Lassnig selbst zu Wort kommen lässt, beinahe körperlich nachvollziehbar gestaltet. Er wolle gar nicht wissen, wo sie das alles herhabe, drückt es ein einflussreicher Wiener Mäzen aus auf Marias Aussage, sie konzentriere sich auf ihr Innenleben und auf ihre Körperlichkeit. Oder die Farben: Was in einer Ausstellungsbesprechung als wie frisch gewaschen, pastellfarben und duftend bezeichnet wird, sind die Fleischfarben, das Lust-Rosa der Lassnig, ihr Blut-Rot, die jeder Lesenden, die diese Farben gern mag, sich aber dafür schämt, da es ja die typischen Mädchenfarben sind, einen neuen Blick auf die eigenen Vorurteile und somit eine befreiende Sichtweise schenken.

Die doppelte Grandezza, nämlich jene der Lassnig als auch der Romanbiographin Breitenfellner, liegt gerade im Bestehen und in der Darstellung des Bestehens auf einem wie auch immer gearteten, fremd bleibenden Eigenen, das eine ständige Weiterentwicklung, ein manisches Beharren auf das Eine (nämlich das Malen, wie es der Titel so unmissverständlich ausdrückt) und eine oft als qualvoll wahrgenommene Unabhängigkeit im Inneren erfordert als auch bedingt.

Die Teilnahme am doppelten Schaffensprozess, die Kraft und Energie, die von beiden ausgeht, vor allem im letzten Kapitel – all dies macht „Maria malt“ zu einer äußerst beglückenden Lektüre.

Kirstin Breitenfellner: Maria malt. Roman. Picus Verlag 2022

Bild: Maria Lassnig: Innerhalb und außerhalb der Leinwand I (1984 – 1985)

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